Sein erstes Oberösterreich-Abenteuer erlebt der gebürtige Tiroler Bruno Buchberger auf zwei Rädern. In den „wilden Fünfzigerjahren“ kommt er als Mittelschüler zu einer Veranstaltung ins Stift St. Florian. Am spannendsten ist hier ein Moped – als Fahrzeug und auch als Wort gerade erst neu auf dem Markt. „Wir sind Schlange gestanden, dass wir einmal damit fahren durften. Es gab einen tollen Weg runter und wieder rauf. Mopedfahren war für uns damals etwas sehr ungewöhnliches,“ erzählt Bruno Buchberger mit leuchtenden Augen.
Keine Entwerder-Oder-Entscheidungen
Reiche Lebenserfahrung des inzwischen 78-Jährigen und jugendfrische Begeisterung für das Neue und das Spannende verbindet Bruno Buchberger heute in einem speziellen Seminar unter dem Motto „Innovation durch positives Spannungsmanagement“. Er arbeitet mit Studierenden, aber auch mit Wissenschaftlern, Politikern, Managern und andere Verantwortungsträgern. Sie stehen häufig vor fundamentalen Entscheidungen, zugleich unter enormem Druck und betrachten Spannung als etwas Negatives. „Nehmen wir die Frage: Soll man Flüchtlingen helfen oder das verhindern? Das sind scheinbar totale Gegensätze.“ Ähnlich gelagert sieht Bruno Buchberger in unserer Gesellschaft beispielsweise Spannungen zwischen Corona-Einschränkungen oder -Freiheiten, Meinungsfreiheit versus Mobbing, Information für jedermann versus Schutz von Daten, Segen oder Fluch der Künstlichen Intelligenz, Klimaschutz, Welternährung uvm.
Auf krasse Gegensätze einlassen
Zum Umgang mit solchen Spannungen sind laut Bruno Buchberger in Österreich drei Methoden verbreitet. „Erste Methode: Man schlägt sich auf die eine Seite. Zweite Methode: Man schlägt sich auf die andere Seite. Dritte Methode: Man wählt den österreichischen Mittelweg.“ Sozusagen den kleinsten Nenner, in der Hoffnung er sei ein gemeinsamer. Was aber rät Bruno Buchberger? „Weder die erste, noch die zweite, noch die dritte Methode – sondern beide Gegensätze volle Tube!“ Er vergleicht die Spannungspole mit Farben, mit rot und mit blau. „Der Weg heißt nicht rosa, lila, blassblau, sondern rot und blau VOLLE TUBE. Viele bekommen da einen Schock und sagen: ‚Das geht nicht.‘ Man muss das lernen: Dass man sich selbst voll begeistert für rot und für blau. Derselbe Mensch muss sich in beide Seiten hineindenken und beide wirklich verstehen. Beides ist richtig – dem muss man sich aussetzen.“ Es folgt die wichtigste Phase: „Dann muss man eine Zeitlang leiden. Man muss sich bewusst sein, dass es möglicherweise zu nichts führt.“ Aber die Menschheit hat über Jahrmillionen gelernt, mit krassen Gegensätzen umzugehen. „Das kann zu einer Idee führen, die eine ungeheure Kraft hat – wie ein Akku, wo zwischen rot und blau interessante Interaktionen passieren, die man selbst gar nicht erfunden hat.“
Gründung Softwarepark Hagenberg
Manchmal gibt es nicht nur zwei, sondern auch drei oder mehr scheinbar gegensätzliche Wege, weiß der Mathematiker und nennt sie rot, blau, grün. Die Auseinandersetzung mit einer solchen Situation hat Bruno Buchberger zu seinem wohl spannendsten Oberösterreich-Abenteuer geführt. Den Anfang bildet eine klare Analyse. Österreich hat viele wichtige Forscher hervorgebracht, als bedeutendsten sieht Bruno Buchberger den Mathematiker Kurt Gödel. Seine Frau nannte Gödel „ein Gehirn auf zwei Beinen“ – quasi Methode „rot“. Gödel tat sich schwer mit der Welt um ihn herum oder gar mit Studierenden. Für die Lehre stehen jedoch andere große Wissenschaftler, exzellente Universitätslehrer – Methode „blau“. Wieder andere Menschen brachten und bringen das Erforschte und Gelehrte zur Anwendung – Methode „grün“. Aber die längste Zeit hat es keinen gemeinsamen Weg von Forschung, Lehre und Anwendung gegeben. Mit der Vision, diese drei Welten zu verbinden, hat Bruno Buchberger 1989 das scheinbar Unmögliche gewagt und den Softwarepark Hagenberg gegründet. Der Erfolg gibt ihm recht. Heute sei die „innovation chain“ in aller Munde – Innovation durch Zusammenarbeit. „Aber wie viele Zentren gibt es wirklich, wo das alles an einem Ort passiert?“ Der Softwarepark-Gründer sieht Forschung, Lehre und Anwendung als drei Türme, die zu tausend Ideen führen. „Die größte Herausforderung ist, die Leute zu erziehen, dass jeder in sich die Fähigkeiten hat, Grundlagenforschung zu betreiben, eine Firma zu gründen oder für eine Firma zu arbeiten, und das auch zu erklären, zu lehren. Das betrachte ich als Ideal des Akademikers.“
Automatisierung und Evolution
Weltweit zeigt sich, dass die Covid-19-Pandemie zu einem Schub für die Digitalisierung geführt hat. Auch damit ist ein stetig wachsendes Spannungsfeld verbunden: die einen meinen, dass Technologien keine Grenzen haben (dürfen) und irgendwann alles können (sollen), die anderen warnen vor unbeherrschbarer Künstlicher Intelligenz oder fürchten digitale Veränderungen in ihrem Alltag. „Beides ist wahr“, sagt Bruno Buchberger. Auf der einen Seite gibt es keine Grenze nach oben. „Künstliche Intelligenz ist die Automatisierung des Denkens. Sie ist so alt wie die Mathematik.“ Zehn Jahre vor dem ersten physikalischen Computer hat Kurt Gödel gezeigt, dass es immer noch eine Stufe ÜBER der aktuell automatisierten gibt. „Die Wellen werden immer schneller“, ergänzt Bruno Buchberger. Dabei wird die Klarheit des Denkens, Sprechens und Handelns immer wichtiger. Auf der anderen Seite steht für Buchberger die Evolution der Natur, des Kosmos, des Lebens, des Menschen. „Das Bewusstsein lässt sich nicht einfangen. Es gibt immer eine Überraschung, die das Leben interessant macht. Es ist dumm zu glauben, dass alles mit Technologie gelöst werden kann, dass menschliches Bewusstsein dafür angelegt ist, alles zu automatisieren.“
Faktenlage und Verantwortung
„Big Data“ sieht der Wissenschaftler als „ein weiteres Schlagwort für dasselbe: in systematischer Weise durch kultiviertes Denken aus Fakten erschließen, was man machen soll“. Daten und Werkzeuge würden immer besser, ein intensives Verständnis von Denktechnologien bleibe das Um und Auf. Bruno Buchberger spricht von Mathematik als „kultiviertem Hausverstand“, mit dem man Probleme analysiert und löst. „Aber in den interessantesten Momenten der Gesellschaft wird es immer Situationen geben, wo jemand Entscheidungen treffen muss, die man nicht aus der Faktenlage ableiten kann.“ Auch bei noch mehr Daten bleibe weiterhin eine hohe Verantwortung der Gesellschaft, des Bezirks, der Gemeinde, der Familie, des Einzelnen. „Die Konsequenzen können erfüllend sein oder katastrophal.“ Bruno Buchbergers Fazit: „Leben als das, was überraschend ist, was NICHT algorithmisch vordefiniert ist, wird immer MEHR sein.“
Antriebskraft und Ruhe
Vor gut 60 Jahren war die Bewegung mit Hilfe des Mopeds eine Verbesserung. Heute redet Weltraumpionier Elon Musk davon, dass im Jahr 2024 Menschen zum Mars fliegen sollen. „Die Natur ist so, nicht nur die menschliche, sie strebt nach immer mehr“, sagt Bruno Buchberger. Das sei eine „driving force“, eine Antriebskraft für Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und materielle Wohlfahrt. Doch er betont: „Der Mensch hat über die Jahrtausende verlernt, diesem Drang zu folgen und zugleich die tiefe Verbundenheit mit der Natur zu bewahren. Wichtig ist in jedem Augenblick zu fühlen, was der Gesellschaft, der Natur, einem selbst guttut. Gerade für Menschen, die sehr aktiv im heutigen Leben stehen, die intensiv in diesem Rad von Technik und Management stecken, empfehle ich sehr die tiefe Erfahrung der Stille.“ Bruno Buchberger meditiert selbst seit fast 50 Jahren. „Da kommen Beobachten-Denken-Handeln als Ausprägungen des Bewusstseins zur Ruhe.“ Kreativ in der Forschung zu sein, macht ihm nach wie vor Spaß. „Es lohnt sich zu forschen, dass das Leben, auch das materielle Leben, schöner werden kann, ohne die Verbindung zur Natur, zur Gesundheit und zur Psyche zu verlieren.“
Das Heute ist spannend
Neues entdecken, verstehen und tun, das macht der einstige Moped-Rocker Bruno Buchberger sein Leben lang. In Leonding hat er mit seiner Frau gerade ein neues Wohnhaus nach uralten indischen Architekturprinzipien errichtet und bezogen. Außerdem hat er mit dem Saxophonspiel begonnen. Sein Vorbild ist Scott Hamilton, dem er übrigens zum Verwechseln ähnlichsieht. Als Klarinettist tritt Buchberger „schon seit dem 65. Lebensjahr“ regelmäßig mit dem „Bookie Mountain Jazz Trio“ auf. Für den nötigen Drive sorgt eines seiner vier Kinder: Wolfger ist Schlagzeuger, Lehrer und Gründer des Pop-Zweigs am BORG Honauerstraße in Linz. Seine Finger trainiert der 78-Jährige nach wie vor auch mit Stenografie (Kurzschrift), wiewohl er weiß: „Daumentippen ist heute eine wichtige Kulturtechnik.“ Dazu lacht er herzlich, ebenso zur abschließenden Frage, wo er sich in zehn Jahren sehen würde. Bruno Buchberger sagt ohne Zögern: „Das ist mir ziemlich gleich. Mir ist das Heute wichtig. Und das ist heute sehr viel spannender als vor zehn Jahren.“
Über Bruno Buchberger
Univ.Prof. Dr.phil. Dr.hc.mult. Bruno Buchberger, geb. 1942 in Innsbruck, erfand in seiner Dissertation 1965 die Theorie der „Gröbner-Basen“ und löste damit ein mathematisches Problem, das vor ihm seit 65 Jahren offen war. Sein Verfahren wird heute weltweit in allen mathematischen Software-Systemen millionenfach angewendet und hat seinen internationalen Ruf begründet. 1974 wurde er Professor für Computer-Mathematik an der Johannes Kepler Universität in Linz. Dort gründete er 1987 das Forschungsinstitut RISC (Research Institute für Symbolic Computation) und übersiedelte 1989 mit 25 Mitarbeitern nach Hagenberg im Mühlkreis. In dem von Buchberger gegründeten Softwarepark Hagenberg arbeiten heute 2.500 Menschen an 12 Uni-Forschungsinstituten, in 70 Firmen und an der Fachhochschule. 2013 beendete er seine Arbeit als Softwareparkleiter und konzentriert sich seither neben Forschungstätigkeiten und internationalem Engagement für die JKU auf Entwicklungsprojekte für Städte und Gemeinden sowie die Arbeit als Berater. Für seine Arbeiten wurde er vielfach international wie national ausgezeichnet. Bruno Buchberger ist verheiratet, Vater von vier Kindern und lebt heute in Leonding. Liebstes Hobby ist die Musik mit seinem „Bookie Mountain Jazz Trio“. Mehr unter brunobuchberger.com
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