Erstellt am 27.01.2020

Zwischen den Welten von Kunst und Technik

Die Welserin Dr. Claudia Schnugg begleitet weltweit Projekte, die ihre Visionen und ihre Wirkung aus der Begegnung von Wissenschaft, Technologie und Kunst beziehen.

Eine sensible und schwierige Aufgabe hat Claudia Schnugg zu ihrem Beruf gemacht. Als Beraterin, Forscherin und Kuratorin baut sie Brücken zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie. Aus dem Dialog untereinander sowie mit Wirtschaft und Gesellschaft entstehen frische Fragen, andere Antwortmöglichkeiten und praktische Projekte. Zum Thema „Braucht es Kunst zur Innovation?“ referierte Claudia Schnugg im August 2019 beim renommierten Forum Alpbach. Seit dem Vorjahr arbeitet sie für die Wissenschaftsgalerie der Universität Ca’ Foscari in Venedig. Die Welserin mit Wurzeln in Weißkirchen war in den vergangenen Jahren an Universitäten, Kunst- und Forschungseinrichtungen in Linz, München, Kopenhagen und Los Angeles tätig.

Behandlung von Krankheiten

Am Linzer Ars Electronica Futurelab ging Claudia Schnugg vor ein paar Jahren mit einem interdisziplinären Team der Frage nach: Wie können Design und neue Technologien genutzt werden, um die Behandlung von psychischen Krankheiten zu verbessern? Als Künstlerin brachte sich die niederländische Fashion-Tech-Designerin Anouk Wipprecht ein. Sie integriert Bio-Sensoren in ungewöhnliche Kleidungsstücke, die z.B. Schweiß oder Spannung messen. Mode und Technik verschmelzen und ermöglichen ihren Trägern, mehr von ihrer Umgebung wahrzunehmen als nur mit den menschlichen Sinnen. In Linz arbeitete die Künstlerin mit Neurowissenschaftlern und einem Therapeuten vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder zusammen und erregte mit ihrer Idee „Agent Unicorn“ großes Aufsehen.

Projekt „Agent Unicorn“

„Sie wollte ein technisches Gerät für Kinder mit ADHS entwickeln“, berichtet Claudia Schnugg. ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung und äußert sich durch Probleme mit Konzentration, Impulsivität und Unruhe. Kinder mit ADHS, ihre Eltern und ihr Umfeld leiden nicht nur unter der Krankheit, sondern häufig auch unter mangelhaftem Verständnis dafür. Als Technik-Partner fungierte das Unternehmen g.tec mit Standorten im oberösterreichischen Schiedlberg sowie Graz. Es ist weltweit erfolgreich mit Neurotechnologie, vor allem Brain-Computer-Interfaces zur Verbindung von Hirnsignalen und Computern etwa bei Schlaganfall- oder Koma-Patienten. Das gemeinsam entwickelte Gerät heißt „Agent Unicorn“ und vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck, als hätte sich das Kind ein markantes Einhorn auf den Kopf geschnallt.

Besseres Verständnis für ADHS

In diesem Headset sind Elektroden versteckt, die an der Kopfoberfläche messbare elektrische Aktivitäten des Gehirns registrieren. Diese laufende Untersuchung ist schmerzfrei und gefahrlos. Dabei wird aber nicht nur ein Elektroenzephalogramm, kurz EEG, aufgezeichnet. Die Kreativität steckt im Einhorn: Sobald die gemessene Aufmerksamkeitsspanne auf über 80 Prozent steigt, wird automatisch eine im Horn verbaute Kamera aktiviert. Sie filmt die Beobachtungen des Kindes. Das Videomaterial dokumentiert, was genau die Aufmerksamkeit des Kindes erregt oder ablenkt. „Kinder und Eltern verstehen dadurch besser, was da gerade passiert“, erläutert Claudia Schnugg. „Die Künstlerin arbeitet nach wie vor mit den Technikern zusammen zur Frage: Wie kann man Sensortechnologie im Gesundheitsbereich einsetzen?“

Übersetzung zwischen Welten

Der Weg zu solchen Ergebnissen ist nicht einfach. Am Anfang einer Zusammenarbeit haben Künstler und Wissenschaftler ein gemeinsames Interesse an der Thematik und viele Fragen. Künstler zeigen ihre aktuellen Arbeiten. Wissenschaftler machen Experimente und erklären den Künstlern, was sie gerade forschen. Letztere überraschen erstere damit, dass sie durchaus wissenschaftliche Arbeiten lesen. „Oft starten beide ohne Erfahrung darin, mit der anderen Seite zu arbeiten“, weiß die Beraterin. „Beide Seiten sind in ihrer Welt gefangen, entwickeln Gewohnheiten, ein bestimmtes Vokabular. Eine Übersetzung in die andere Welt ist nötig.“ Das gilt schon in der Sprache. Beispielsweise ist der Ausdruck „Spiegelung“ für einen Fotografen anders besetzt als für einen Neurowissenschaftler. „Schwingungen“ sind für einen Gitarristen etwas ganz anderes als für einen Kosmologen. Weiters geht es darum, Ideen oder Visionen von Künstlern verständlich zu machen. Schließlich braucht es Argumente, warum sich eine Institution oder ein Unternehmen für solche Themen interessieren sollte.

Bewusstsein der Gesellschaft

„Das persönliche Interesse, dass ich diese Dinge zusammenbringe, dass sich Unternehmen für Kunst interessieren: Dieser Bereich ist am reizvollsten“, erzählt Claudia Schnugg. Schon ihre Doktorarbeit an der Linzer Universität behandelte diese Fragestellungen. Heute sorgt sie in internationalen Projekten für gute Zusammenarbeit, wirkt inhaltlich mit und organisiert Kooperation und Kommunikation. „Was in der Wissenschaft passiert, können viele Menschen nicht fassen und einschätzen“, erklärt die Expertin. „Künstlerinnen sind ein guter Seismograph zur Frage: ‚Was ist eigentlich wichtig für die Gesellschaft?’ Das ist ein Kern meiner Arbeit.“ Beispielsweise gehört der Klimawandel zu den brennendsten Themen unserer Zeit. Doch obwohl zahllose Forscher für eine Fülle an Fakten sorgen, finden ihre Erkenntnisse trotzdem keine ungeteilte Zustimmung in Politik oder Bevölkerung. Einen kreativen Ansatz wird das Projekt „Ice Memory“ aus der Schweiz bringen. Gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern soll eine Unterwasser-Filmkünstlerin Gletscherschmelze und Klimawandel thematisieren. Ziel ist auch eine stärkere Bewusstseinsbildung in der breiten Öffentlichkeit.

Original-Luft aus der Eiszeit

Die Idee ist so einfach wie genial. Gletschereis enthält Luftbläschen. Sie geben Auskunft über den Luftzustand zur Zeit der Gletscherbildung und in Summe über die Zusammensetzung der Luft im Verlauf von Jahrtausenden. Was sagen solche Informationen über die Entwicklung unserer Erde, über Veränderungen der Luftqualität, der Sauerstoff-Sättigung, des Klimas? Für ein gemeinsames Projekt zu solchen Fragen bewerben sich Künstler und Gletscherforscher bei einer Schweizer Stiftung. Mit Kernbohrungen im Gletschereis sollen Informationen auch aus „schmelzenden Riesen“ gesichert werden. Ein internationales Team hat die technische Durchführbarkeit des Projekts an einem Gletscher des Mont-Blanc-Massivs geprüft. An Eisproben eines Gletschers in den Anden lassen sich voraussichtlich sogar ca. 18.000 Jahre Entwicklung der Erdatmosphäre zeigen. So könnten Menschen begreifen, welche Luft unsere Vorfahren geatmet haben und wie sich unser Planet verändert.

Professionelle Organisation

Für ihre alltägliche Arbeit kann sie auf universitäre Studien und ein solides Fundament aus ihrer Jugend zurückgreifen. Damals ging sie im elterlichen Betrieb in die Tischlerlehre und absolvierte die Handelsakademie in Wels. Auch diese Erfahrungen helfen ihr heute im Umgang mit Künstlern und Wissenschaftlern. „Ich will keine Klischees bestärken, aber man muss schon genau Buch führen – manche machen das mehr, andere weniger“, schildert die Beraterin mit einem Schmunzeln. „Wichtig in einem Projekt ist es auch, den Fortschritt zu dokumentieren. Erste Ideen werden oft schnell erwartet, aber der künstlerische Prozess läuft nicht so schnell. Da braucht es eine Verständigung zwischen Erwartungshaltung und Prozess. Auch Fragen der Rechte sind zu klären: Wer ist die Person, die das entwickelt hat, oder ist es eine Kollaboration?“

Information rund um die Uhr

Zu Claudia Schnuggs weiteren Themenfeldern gehören Astronomie, Mikrobiologie, Kernphysik, Computerwissenschaften, Medienkunst oder empirische Ästhetik. Ihr großer Zukunftstraum wäre ein eigenes Labor oder Institut für die interdisziplinäre Kooperation: „Nicht nur zur Frage, wie Kunst etwas zu einem Ziel beitragen kann, sondern zum Prozess selbst. Den muss unsere Gesellschaft erst wieder lernen: dass ich lesen muss, zuhören muss, um eine neue Idee als relevant zu erfahren, und dass ich unterschiedliche Menschen zusammenholen muss. Es braucht den Austausch. Am Schluss kann ich die Idee in zwei Minuten erzählen.“ Privat ist sie an Wissenschaft und Kunst in allen Facetten interessiert. „Ich gehe gerne in Ausstellungen, ins Theater und lese viel.“ Faszinierend sei, wie schnell man dank öffentlich verfügbarer Publikationen einen Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln findet. „Früher in der HAK haben wir uns via ICQ über die Hausübung ausgetauscht. Das furchtbar laute Geräusch zum Verbinden habe ich gut in Erinnerung.“ Heute gibt es zahllose bequeme Messaging-Dienste. Videokonferenzen erleichtern die Zusammenarbeit in internationalen Projekten. „Schwierig ist nur, eine geeignete Uhrzeit zu finden, wo alle wach sind“, lacht Schnugg.

Zombie oder Mensch?

Angesichts der schier grenzenlosen Möglichkeiten stellt Claudia Schnugg die Frage: „Welche Technologie wollen wir denn? Den digitalen Zombie mit Headset und Handschuhen oder eine sehr persönliche Kommunikation auf menschlicher Ebene?“ Schnugg hofft, dass sich letztere durchsetzen wird. Interessante Blickwinkel dazu liefere auch die Science-Fiction, in Büchern und Filmen wie „Star Trek“ oder „Blade Runner“, dessen Neuauflage sie gerade gesehen hat. Die Expertin betont: „Auch in der Kunst wird sichtbar, dass es eine Besinnung auf Mensch, Emotion und Erlebnis gibt. Das macht das Mensch-Sein aus, und das soll nicht unter der Technologie verschwinden.“


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